Im Keller des „Flugzeugträgers Rheinland-Pfalz“Ausweichsitz Rheinland-Pfalz

Ausweichsitz Rheinland-Pfalz in Alzey immer am ersten Novemberwochenende geöffnet

Als „Flugzeugträger Rheinland-Pfalz“ bezeichnete einst Ministerpräsident Bernhard Vogel das Bundesland, das er 12 Jahre von der Kommandobrücke in der Mainzer Staatskanzlei führte. Passend zu dieser Wahrnehmung fällt in seine Amtszeit (1976 bis 1988) auch die Entscheidung für den Ausbau eines Bunkers für die Landesregierung. Aus diesem sogenannten „geschützten Ausweichsitz“ in Alzey sollte das Land im Kriegsfall 30 Tage weiterregiert werden.

Die Raumbelegungspläne für den Bunker hängen noch: Für Ministerpräsident Vogel war Zimmer „004“ im zweiten Untergeschoss reserviert, präzise 2,30 Meter breit und 3,85 Meter lang. Im Geschoss über ihm hätte der Notstromerzeuger gerattert, darüber liegt das Parkett einer Turnhalle. Der gesamte Bunker ist als geheime Unterwelt des Schulsports Teil des Aufbau-Gymnasiums in Alzey. Oben Turnhalle, darunter Atombunker – so wurde es einst gebaut und so ist es heute noch, auch wenn die Landesregierung die Anlage 1993 aufgab.

Atombunker „light“

1.140 Quadratmeter suggerierte Sicherheit vor einem Atomwaffenangriff auf zwei Ebenen: Der Weg durch das bizarre Bunkerreich führt vorbei an Dienstzimmern der Ministerien, durch Schlafräume und Lagezentren. Doch wer hier schwere Atomschutztore á la Ahrweiler (Regierungsbunker des Bundes) oder Großküchen für Hunderte von Menschen erwartet, wird enttäuscht. Denn auch wenn der Ausweichsitz entsprechend der General-Planung des Bundes die Mainzer Regierung unter allen Umständen in Krieg oder Krise 30 Tage handlungsfähig halten sollte, wählte Rheinland-Pfalz beim Bau seiner Anlage eher die Variante „Atombunker light“. Schwere Druckverschlüsse fehlen hier ebenso wie ein Tiefbrunnen für die Eigenwasserversorgung. Stattdessen stellte man – entgegen aller Vorschriften für solch einen Kriegssitz - einen großen Wassertank auf.

Innere Werte: Kreuzchen für Diätkost

Der Ausweichsitz glänzt heute eher mit inneren Werten. In mancher Schublade liegt noch der Original-Meldebogen mit dem markanten roten Aufdruck „Geheim“. Sogar eine Bestellkarte für das Mittagessen ist da, in der die Insassen ankreuzen können, ob sie eine Diätnahrung wünschen. Der Panzerschrank für latent im Ausweichsitz eingelagerte Geheim-Dokumente steht unangetastet in seinem Raum, die Versorgungstechnik ist funktionsfähig – Eigenstromversorgung und Belüftung via Sandfilter inklusive.

Ist das Bunker-Ensemble bereits für sich genommen beeindruckend, ist seine Rolle im bundesweiten Räderwerk für den angenommenen Kriegsfall von besonderer Bedeutung. Denn dem „Flugzeugträger Rheinland-Pfalz“ kam im Kalten Krieg eine besondere Rolle zu, der man auch im Ausweichsitz begegnet: Es war die Hauptevakuierungszone der deutschen Restbevölkerung im 3. Weltkrieg.

Entsprechend umfangreich ist das Bundesland unterkellert. Die Anleihe des Bunkerbau-Ministerpräsidenten Vogel an ein Kriegsgerät hätte auch auf „U-Boot“ lauten können, denn mit Alzey wurde die fortlaufende Nummer drei eines Ausweichsitzes eingerichtet, in dem die Landesregierung abtauchen konnte. Nach einem Provisorium in Bad Sobernheim Ende der 50er Jahre baute man das Schloss Burg an der Mosel zum Kriegssitz aus. Ende der 70er Jahre wurde dann der Bunker in Alzey als Kriegshauptquartier aktiviert, aus dem man ab 1981 an den zweijährigen NATO-Übungen teilnahm, die einen atomaren Schlagabtausch simulierten.

Vom Bunker zur Besuchermeile

Der rheinland-pfälzischen Erde kommt so das zeitgeschichtliche Privileg zu, zwei Ausweichsitze für zwei Regierungen zu beherbergen. Doch so unterschiedlich die Bunker des Bundes in Ahrweiler und des Landes in Alzey baulich umgesetzt wurden – eines eint sie seit 2011: Sie stehen der Öffentlichkeit offen, erzählen und schreiben Jahrzehnte nach Ende des Kalten Krieges gemeinsam Geschichte. Denn mit Unterstützung des Aufbau-Gymnasiums konnten im Mai 2011 erstmals Führungen im Bunker durchgeführt werden. Eine Möglichkeit, die es seitdem immer Anfang November gibt, denn dann kann der ehemalige Ausweichsitz besichtigt werden.

Programm 2024

Das nächste Mal stehen die Bunkertüren am 1., 2 und 3. November 2024 offen. Im Rahmen von Führungen werden Aufbau und Aufgabe dieses Ortes erklärt.

Dann wird auch die Frage beantwortet, wie der Bunker unter die Turnhalle der Schule kam. Zur Geschichte dieses Ortes zählen leider auch die bislang schlechten Möglichkeiten einer Aufarbeitung. Denn trotz mehrfacher Anträge und Anfragen beim zuständigen Mainzer Innenministerium verweigert das Land eine Einsichtnahme in Akten zum Bunker, die ab Mitte der 1960er Jahre angelegt wurden. Wie es dennoch - vorbei an den Geheimschutzauflagen der Landesregierung - gelingen konnte, umfangreiches Hintergrundwissen zu recherchieren, wird ebenfalls im Rahmen der Führungen erklärt.


Anfahrt

Dokumentationsstätte Ausweichsitz Rheinland-Pfalz

Ernst-Ludwig-Str. 49-51
55232 Alzey


Eintritt

1., 2 und 3. November 2024, einstündige Führungen zu Geschichte, Aufbau und Aufgabe des Bunkers

Eintrittspreise:

  • Einzelbesucher 12 €uro/Person
  • ermäßigt (für Kinder bis 16 Jahre, Schüler, Studenten, Azubi, Wehrdienstleistende, Zivildienstleistende; gegen Ausweisvorlage) 10 €uro/Person
  • Kinder unter 12 Jahren frei (in Begleitung eines Erwachsenen)

Fotoerlaubnis 2 €uro/Person (für private Zwecke, ohne Stativ; Videoaufnahmen sind nicht erlaubt)

ACHTUNG! In der Bunkeranlage müssen Treppen zurückgelegt werden.

HINWEIS der Rhein-Nahe Nahverkehrsverbund GmbH: Für Anreise mit Bus und Bahn finden Besucher Fahrplanauskünfte unter www.rnn.info und unter www.vrn.de mit Eingabe der Adresse. Nächstgelegene Bahnhöfe sind Alzey (ca. 15 Min. entfernt) und Alzey-West (ca. 5 Min).


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